Neulich am Bahnhofplatz in Zürich: Ein junge Frau asiatischer Herkunft sitzt auf einer Fussgänger-Treppe, vor ihr liegt ein Hut mit ein paar Münzen drin. In Englisch darauf angesprochen, was sie denn hier tue, erwidert die junge Frau: «Holidays.»
Aha. Eine Touristin aus dem fernen Asien, die offenbar die Kostenfalle Zürich überschätzt hat und nun um einen Zustupf bettelt. Von wegen! Auf die Frage, woher sie denn stamme, meint sie lapidar und in lupenreinem Deutsch: «Österreich.»
Nun mögen wir es den ausländischen Gästen noch nachsehen, dass ihnen in der Schweiz unter Umständen das Geld ausgeht. Bei vielen Schweizerinnen und Schweizern löst Betteln ja auch entsprechend ambivalente Gefühle aus: Mitgefühl, Scham, ein schlechtes Gewissen und manchmal auch Überheblichkeit. Persönlich ist mir das Bild des Bettlers alles andere als fremd. Jahr für Jahr in Südostasien und damit in ein paar der ärmsten Länder der Welt unterwegs, habe ich viele Arten von Armut und Bettlern gesehen.
Zum Beispiel die, die ohne Beine über die versifften Trottoirs von Bangkoks Hauptstrassen kriechen und dabei nicht einmal mehr die Kraft aufbringen, die Hand aufzuhalten. Oder die, welche mit viel Geschick kleine Kunstwerke erstellen und diese für ein paar mickrige Riel, Kip oder Kjet an die Passanten zu verkaufen suchen. Oder die, welche nicht müde werden, den weissen Touristen fortwährend mit «Sir, just one dollar» anzujammern, als wäre es ihr Mantra.
Doch wie es so ist, wenn man glaubt, so vieles schon gesehen und erlebt zu haben, kommt die nächste Überraschung um die Ecke: Begpacker.
Begpacker, also bettelnde Globetrotter, scheinen gerade in Asien derzeit en vogue zu sein. Von westlichen Touristen, die an der Silom Road in Bangkok Postkarten verkaufen ist da zu lesen, von Mittelschicht-Kids, die mit einem Pappschild um Geld für ihre Weltreise betteln oder die Saiten ihrer Klampfe malträtieren – auch wenn gewisse Kreise dies für ok befinden.
Was glauben diese Leute?
Haben sich diese Begpacker von irrwitzig tiefen Flugpreisen verleiten lassen und vergessen, dass ein Trip nach Übersee Folgekosten generiert? Oder haben sie sich gedacht, sie lassen sich ihren Trip einfach fremdfinanzieren, getreu dem Motto, dass schon jeden Tag ein Dummer aufsteht, der das mitmacht?
Ich würde bei ersterem auf naiven Schwachsinn plädieren, doch Verständnis kann ich dafür nicht aufbringen. Für letzteres habe ich nur zwei Worte übrig: Schämt Euch!
In den meisten Berichten zum Thema Begpacker wird das Phänomen den sogenannten Millenials zugeschrieben, also der Generation Y, die angeblich immer alles sofort will. Hauptsache, jemand anderes kommt für die Kosten auf. Generation Y, wie treffend. Denn ich frage mich explizit in diesem Fall: why?
Warum glauben diese Leute, dass es in Ordnung ist, sich den Luxus von Ferien, den man sich offenbar nicht leisten kann oder will, durch andere finanzieren zu lassen? Mit andere meine ich vor allem: wildfremde Menschen, die in der Regel noch weniger Geld haben als sie.
Warum glauben diese Menschen, dass sie sich im Namen der Selbst-Bespassung in fremden Gefilden einfach so über geltende Gesetze und kulturelle Gepflogenheiten hinwegsetzen können?
Und warum um alles in der Welt glauben Begpacker, dass es moralisch in Ordnung ist, was sie tun?
Jeden Tag aufs Neue mit ein paar Lumpen auf der Haut um ein bisschen Würde, etwas zu Essen oder um das eigene Überleben kämpfen zu müssen, ist beileibe kein Spass. Davon haben Begpacker offenbar nicht den leisesten Schimmer und es fehlt ihnen darüber hinaus an jeglichem Respekt. Sie stammen aus gesicherten Verhältnissen, haben einen Reisepass, eine Familie, ein Zuhause. Sie stehen an der Spitze der Maslow’schen Pyramide. Währenddessen erklimmen die «echten» Bettler unter Umständen nicht einmal die unterste Stufe dieses Modells der Bedürfnishierarchien, betteln täglich um ein bisschen Geld, das sie am Leben hält – und haben weder die Bildung noch die Möglichkeit je zu erfahren, was diese komische Pyramide überhaupt soll.
Ich habe in all den Jahren des Reisens viele bedenkliche Formen des Tourismus gesehen – mich hin und wieder auch fremdgeschämt. Und immer dachte ich, wie bei vielem anderen auch: schlimmer kann es nicht mehr kommen. Doch es kam schlimmer – und diese Dekadenz schlägt dem Fass nun echt die Krone ins Gesicht. Wer es sich nicht leisten kann, so zu reisen, wie er will – oder noch schlimmer: es sich nicht selber leisten will – soll zu Hause bleiben. Begpacker dieser Welt, macht euch auf den Weg nach Hause und schämt euch ordentlich eine Runde. Oder zwei.
Dieser Text erschien ursprünglich auf dem Reise- und Tourismus-News-Portal travelnews.ch.